Achtsamkeit für jeden Tag

Stärken erkennen und nutzen

Wer um seine Stärken weiß, wirkt nicht nur selbstbewusst und authentisch, sondern hat auch beruflich die besten Karten. Dr. Boris Bornemann erklärt, wie wir herausfinden, was uns am besten liegt

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Was können eigentlich alles Stärken sein?

Stärken lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen gibt es Fähigkeiten wie beispielsweise ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen, eine mathematische Begabung oder jemand kann gut singen, tanzen oder kochen. Zum anderen gibt es sogenannte Charakterstärken. Dazu gehören etwa Neugier, Tapferkeit, Entscheidungsfreude, Geduld, aber auch Dankbarkeit und Humor. Beide Arten von Stärken lassen sich schulen. Bei Fähigkeiten ist uns das klarer, weil unser Bildungssystem stärker auf diese abzielt. Aber Studien zeigen, dass wir auch an Charakterstärken arbeiten können. Wir können etwa Dankbarkeit kultivieren, indem wir uns regelmäßig fragen, wofür wir dankbar sind. Therapeutische Prozesse können unsere Liebes- und Bindungsfähigkeit erhöhen.

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Warum fällt es uns oft schwer, eigene Stärken zu erkennen?

Manchmal erscheint uns das, was wir gut können, als selbstverständlich. Wenn wir zum Beispiel ein gutes Sprachgefühl haben und daher gute Texte verfassen können, glauben wir, das sei nichts Besonderes. Wir denken, alle könnten das, weil es uns wenig Mühe kostet und übersehen dabei, dass wir eine Gabe haben. Außerdem haben wir eine – vermutlich angeborene – Neigung, auf das zu fokussieren, was problematisch oder bedrohlich ist. Wir schauen also oft eher auf unsere Schwächen als unsere Stärken.

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Warum ist es sinnvoll, sich seiner Stärken bewusst zu werden?

Die Dinge, die wir gut können, machen uns in der Regel auch Freude, und umgekehrt. Wer Spaß am Umgang mit Menschen hat, wird über die Zeit sehr gut darin werden, Menschen und soziale Situationen einzuschätzen. Wer ein musikalisches Talent hat, wird sich recht leicht und spielerisch in der Welt der Klänge bewegen und dies genießen. Dort, wo unsere Stärken zur Geltung kommen, blühen wir auf. Es geht uns gut. Wir können auch andere mitreißen mit unserer Begeisterung und der Liebe zu dem, was wir tun. Außerdem werden wir gute Ergebnisse hervorbringen, die uns selbst und anderen nützen.

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Wie finde ich heraus, was meine Stärken sind?

Wenn wir mit unseren Stärken in Kontakt sind, erleben wir uns als sicher, ruhig und souverän. Oft auch als wach, energetisiert und freudvoll. Es ist gut, uns selbst etwas zu beobachten, um festzustellen, wann wir uns so fühlen. Der US -amerikanische Psychologie -Professor Robert Biswas -Diener stellte in Studien fest, dass Menschen, die über ihre Stärken reden, klarere Sprache verwenden, aufrechter stehen oder sitzen, mehr Mimik und Gestik zeigen und mehr Metaphern verwenden. Es kann sich auch lohnen, einmal Listen zu folgenden Fragen anzufertigen: Was kann ich gut? Was fällt mir leicht? Wo fühle ich mich wohl und energetisiert? Auf den Internetseiten des VIA Institute on Character (viacharacter.org) kannst du außerdem kostenlos einen wissenschaftlich gut validierten Test zu deinen Charakterstärken machen.

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Wie wichtig ist die Einschätzung von außen?

Manchmal sehen Menschen von außen Stärken, die uns selbst entgehen. Es kann hilfreich sein, eine Freundin oder einen Freund zu fragen: Was kann ich deiner Meinung nach besonders gut? Welche Eigenschaften schätzt du an mir? Wir können der anderen Person diese Fragen ebenso beantworten. Dieser Austausch stärkt zugleich die Beziehung. Wenn Kolleg:innen offen dafür sind, könnten wir auch bei der Arbeit eine solche Runde machen. Um Stärken zu identifizieren, schlägt Biswas-Diener auch vor, sich selbst oder anderen Fragen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu stellen. Etwa: Worauf bist du stolz? Was hast du gern und gut gemacht? Was findest du derzeit in deinem Leben anregend und schön? Worauf freust du dich in den nächsten Wochen?

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Wie setze ich Stärken sinnvoll ein?

So richtig Freude macht es, wenn wir sie für einen Zweck verwenden, der mit den eigenen Werten übereinstimmt. Das kann uns auch dazu animieren, vorhandene Stärken noch weiter auszubauen. Es kann auch sehr schön sein, in einem Team zu arbeiten, in dem sehr unterschiedliche Stärken zusammenkommen. So können wir uns gegenseitig ergänzen, voneinander lernen und uns an den Stärken der anderen erfreuen.

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Können aus Stärken auch Schwächen werden?

Die eigenen Stärken für die falsche Sache einzusetzen, kann unglücklich machen. Sich außerdem nur auf die eigenen Stärken zu konzentrieren, kann das Leben eng werden lassen. Wachstum und Weiterentwicklung sind wichtig für Zufriedenheit und das Gefühl voranzukommen. US-amerikanische Studien haben untersucht, welche Charakterstärken besonders stark mit Lebenszufriedenheit zusammenhängen. Das sind Optimismus, Dankbarkeit, Begeisterungsfähigkeit, Neugier sowie Liebes- und Beziehungsfähigkeit. Wenn wir also überlegen, unser Stärkenprofil auszubauen, ist es eine gute Idee, sich auf diese Eigenschaften zu konzentrieren.

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Wie helfen Achtsamkeit und Meditation dabei, Stärken zu erkennen und zu nutzen?

Beim Meditieren lernen wir, Körperempfindungen und Gefühle klarer wahrzunehmen. Dadurch merken wir eher, wenn wir in unserem Element sind: Wo geht es mir gut? Wo fühle ich mich kräftig und voller Energie? Oder sicher, ausgeglichen und erfüllt? Egal, was wir tun: Wir profitieren davon, wenn wir gegenwärtig und mit dem Herzen dabei sind. Genau diese Fähigkeit wird in Achtsamkeitsübungen kultiviert – neben Haltungen wie etwa Dankbarkeit, einem offenen Geist oder der Fähigkeit, sich liebevoll an sich selbst und andere zu wenden. Achtsamkeit und Meditation können also helfen, Stärken zu erkennen, zu nähren und zu nutzen.

Bild: PLAINPICTURE