Achtsamkeit für jeden Tag

Wie Visualisieren uns weiterbringt

Unsere Vorstellungskraft kann dabei helfen, Ziele zu erreichen. Wie das genau funktioniert und wie wir im Kopf bewusst Bilder entstehen lassen, weiß Boris Bornemann

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Man hört ja viel davon, dass Visualisieren so hilfreich sein soll. Doch was bedeutet das genau?

Es bedeutet, sich etwas bewusst bildlich vorzustellen. Wir können an Standbilder oder auch an bewegte Szenen denken. Sie werden oft eingesetzt, um Ziele zu erreichen, zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch erfolgreich zu meistern. Auch als Trainingsmethode im Sport sind sie beliebt. Wir können die Bilder aber auch zur Entspannung nutzen oder um bestimmte Gefühle auszulösen.

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Was macht Visualisierung so effektiv?

Evolutionär gesehen, also gemessen an der langen Zeit, in der der Mensch sich entwickelt hat, nutzt er erst seit kurzer Zeit Sprache zur Kommunikation. Das bedeutet auch, dass unsere Vorfahren nicht sprachlich gedacht haben, sondern eher bildlich. Bis heute ist unser Gehirn darauf angelegt, auf Bilder zu reagieren. Dabei ist es nicht wichtig, ob wir uns diese nur vorstellen oder tatsächlich sehen. Beides wird im Gehirn ähnlich verarbeitet und wirkt stark auf Körper und Gefühl. In einer englischen Studie sollten sich Menschen zum Beispiel intensiv vorstellen, wie sich jemand mitfühlend um sie kümmert. Das aktivierte bei vielen den Parasympathikus, also den beruhigenden Teil unseres Nervensystems. Sogar Stresshormone wurden durch diese Visualisierung abgebaut.

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Wie kann ich diese Bilder entstehen lassen und wie konkret müssen sie sein?

Visualisieren ist so etwas wie bewusstes Träumen. Das geht am besten, wenn wir entspannt sind. Wir können damit beginnen, tief zu atmen und die Aufmerksamkeit in den Körper zu bringen. Dann lassen wir die inneren Bilder entstehen. Wenn wir sportliche Bewegungsabläufe einüben, sollte der innere Film möglichst präzise sein. Aber wenn wir Bilder zur Entspannung nutzen oder um uns auf ein Ziel einzustimmen, geht es mehr darum, wie wir uns bei der Übung fühlen. Dafür ist es gut, sich nicht nur Bilder vorzustellen, sondern auch, was wir hören, riechen, schmecken und im Körper wahrnehmen. So erleben wir das Vorgestellte intensiver. Wie beim Träumen können wir den Bildern erlauben, sich von selbst zu entwickeln.

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Laufe ich dabei Gefahr, mich in Trugbildern zu verlieren, die sich nicht erreichen lassen?

Während wir einen Wunsch formulieren, sollten wir uns fragen, ob er überhaupt realistisch ist. Im Studium überall Einsen zu haben ist vermutlich utopisch. Nächstes Semester einen besseren Notendurchschnitt zu schaffen ist hingegen machbar. Außerdem ist es zentral, zu überlegen, wie wir mit Hindernissen umgehen und welche konkreten Handlungen nötig sind. Allein an das Ziel zu denken reicht nicht. In einer kalifornischen Studie sollte sich eine Gruppe Studierender immer wieder vorstellen, in einer Klausur eine gute Note zu bekommen. Weil sie aber träumten, anstatt zu handeln, schnitten sie schlechter ab. Nur wenn sie sich auch vorstellten, wie sie dafür lernten, hatte die Visualisierung positive Effekte.

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Wie kann ich Visualisierungen also konkret nutzen, um bestimmte Ziele zu erreichen?

Sehr gute Ergebnisse zeigt in Studien die sogenannte WOOPMethode, die von der Psychologie-Professorin Gabriele Oettingen entwickelt wurde. WOOP steht für Wish (Wunsch), Outcome (Ergebnis), Obstacle (Hindernis) und Plan. Erst formuliere ich einen konkreten Wunsch, zum Beispiel im nächsten Monat zweimal die Woche laufen zu gehen. Dann male ich mir aus, wie sich das Ergebnis anfühlen würde. Etwa: „Ich hätte mehr Energie, würde mich wohler fühlen.“ Dann frage ich mich, was in mir verhindern könnte, mein Ziel zu erreichen. Vielleicht diskutiere ich oft zu lange mit mir selbst, anstatt einfach loszulaufen. Oder ich lasse mich zu schnell von anderen Menschen oder auch Dingen ablenken. Danach fasse ich einen Plan, wie sich dieses Hindernis überwinden lässt. Zum Beispiel: feste Laufzeiten im Kalender notieren oder an das Gefühl nach dem Laufen denken.

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Was, wenn ich kein besonders visueller Mensch bin? Welche Übungen können helfen?

Wichtig ist, dass das mentale Spiel uns emotional ergreift. Wenn wir eher sprachlich-auditiv veranlagt sind, sollten wir diese Fähigkeit nutzen: Wir können uns genau beschreiben, was wir uns wünschen, wie es sich anfühlen würde, was schwierig sein könnte, und wie wir diese Schwierigkeiten meistern wollen. Wir können uns das selbst vorsprechen oder mit anderen darüber reden. Oder wir können es aufschreiben. Dabei sollten wir immer wieder Pausen lassen, um die Wörter auf uns wirken zu lassen. Wer sich damit wohlfühlt, könnte seine Vorstellungen auch tänzerisch oder theatral ausdrücken.

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Was lässt sich durch Visualisie - rung positiv beeinflussen und was eher weniger?

In fast allen Lebensbereichen profitieren wir davon, wenn wir in konstruktiver Weise über die Zukunft nachdenken. Dass die WOOP-Methode wirkt, wurde für sehr unterschiedliche Lebensbereiche nachgewiesen. Sie hilft Menschen dabei abzunehmen, mehr Sport zu machen und effektiver zu lernen. Depressive Menschen wurden aktiver und hatten es leichter, ihre Ziele zu verfolgen. Wir können die Methode sogar nutzen, um uns toleranter und sozial verantwortlicher zu verhalten. Wichtig ist, dass wir mit der Methode nur Einfluss da – rauf nehmen, wie wir selbst denken und handeln. Wie andere handeln oder was in der Umwelt passiert, können wir natürlich nicht direkt beeinflussen. Es ist gefährlich, sich da Illusionen zu machen. Da werden wir nur frus – triert und verschwenden unsere Energie.

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Wie kann ich die Methode so einsetzen, dass sie mir wirklich guttut?

Wir sollten überprüfen, ob das, wonach wir streben, uns auch wirklich glücklich macht. Vielleicht wollen wir unbedingt berühmt werden und eine große Karriere machen. Aber würde das an unserer Lebenszufriedenheit wirklich etwas ändern? Die Forschung legt nahe, dass dies eher nicht der Fall ist. Entscheidender ist es, liebevoll mit anderen Menschen verbunden zu sein und etwas zu tun, das wir persönlich als sinnstiftend erachten. Ein wenig über die Psychologie des Glücks Bescheid zu wissen kann beim Setzen realistischer Ziele helfen. Genauso wichtig ist es, unsere eigenen Bedürfnisse zu erkunden. Wir können uns die Frage stellen: Was brauche ich wirklich? Durchs Meditieren können wir außerdem lernen, im Moment zu sein, freundlich mit uns umzugehen und die Reise zu unserem Ziel zu genießen. Wenn uns das gelingt, ist es gar nicht mehr so wichtig, ob wir auch wirklich dort ankommen.

Foto: Roland Deason / Unsplash