Achtsamkeit für jeden Tag
Gute Besserung
Krank zu sein kann uns körperlich wie geistig sehr herausfordern. Wie Achtsamkeit unsere Widerstandskraft stärken kann, sagt Dr. Boris Bornemann
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Warum fällt es uns oft nicht so leicht zu akzeptieren, dass wir krank sind?
Krank zu sein, zu altern und sich gebrechlich zu fühlen gehört zum Leben dazu, ist aber dennoch ein gesellschaftliches Tabu. Achtsamkeit zu praktizieren bedeutet hingegen, sich der Wirklichkeit anzunehmen. Wir machen uns klar, dass alle Menschen unangenehme Zustände erfahren. So fühlen wir uns weniger allein. Anstatt gegen das Unvermeidliche anzukämpfen, üben wir uns darin, mitfühlend mit uns umzugehen.
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Wie wichtig ist eine positive Grundeinstellung im Umgang mit Krankheiten?
Eine US-amerikanische Übersichtsarbeit, in der die Effekte von 108 Studien zusammengefasst werden, kommt zu dem Ergebnis: Wer eine positivere Einstellung zum Leben hat, ist gesünder. Wenn wir in realistischer Weise optimistisch sind, akzeptieren wir, dass wir nicht vollständig in der Hand haben, wie die Krankheit verläuft. Aber wir wissen auch, dass wir einiges dafür tun können, dass wir schneller gesunden oder weniger unter den Symptomen leiden. Wir können uns gut ernähren, ausreichend schlafen und uns in krankheitsangemessener Weise bewegen. Wir suchen uns Unterstützung bei anderen Menschen und machen Aktivitäten, die uns wohltun. Wir fokussieren uns also bewusst auf das, was wir beeinflussen können.
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Lassen sich auch Schmerzen durch bestimmte Meditations- oder Achtsamkeitsübungen lindern?
Beim Meditieren lernen wir, uns auf die körperliche Seite von Schmerzen zu fokussieren. Wir untersuchen zum Beispiel: Erlebe ich ein Stechen, ein Brennen, ein Ziehen, Enge oder Druck? Der Schmerz erscheint dadurch weniger als etwas Diffuses, Unangenehmes, das wir weghaben wollen. Er wird zu einem konkreten körperlichen Geschehen, das wir erkunden können. Oft reagieren wir unwillkürlich auf den Schmerz: Wir spannen uns an, malen uns aus, dass wir noch lange mit dem Schmerz zu kämpfen haben werden, und/oder fühlen uns niedergeschlagen. Wenn wir dies bemerken und stattdessen bei der körperlichen Erfahrung im Hier und Jetzt bleiben, vermindern wir dieses hausgemachte Leid.
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Gibt es Übungen, die mir helfen, Rückschritte zu verkraften?
Wenn wir Rückschlägen und Schwierigkeiten begegnen, ist es gut, mitfühlend mit uns umzugehen. Folgende drei Schritte können wir in einer Meditation einüben oder direkt in einer schwierigen Situation einsetzen: Zunächst erkennen wir an, dass wir etwas Unangenehmes erleben. Wir benennen, was wir fühlen, und erkunden, was wir im Körper dabei spüren. Als Zweites machen wir uns klar, dass es sehr menschlich ist, sich zum Beispiel frustriert, niedergeschlagen oder hoffnungslos zu fühlen. Vielen Menschen in unserer Situation geht es so. Schließlich wenden wir uns liebevoll an uns selbst. Wir können beispielsweise eine Hand aufs Herz oder den Bauch legen und freundliche Worte zu uns sprechen, uns selbst Kraft oder Gelassenheit wünschen.
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Wie kann ich lernen, mit langwierigen Leiden umzugehen und auch kleine Fortschritte anzunehmen?
Gerade wenn der Verlauf der Krankheit ungewiss ist, ist es gut, von Tag zu Tag zu leben. Wir können uns fragen: Was ist heute möglich? Wie kann ich mir diesen Tag, mit den aktuellen Einschränkungen, möglichst angenehm und sinnvoll gestalten? Es ist auch hilfreich, kleine Verbesserungen bewusst wertzuschätzen. Wenn wir zum Beispiel schon wieder ein bisschen besser laufen können, fokussieren wir uns auf das Gefühl bei jedem Schritt. Wir können innerlich oder auch in einem Buch notieren: Ich bin dankbar für die Kraft, die jetzt zurückgekommen ist. Ich bin dankbar dafür, dass es auch viele Regionen im Körper gibt, die sich gesund und angenehm anfühlen. Es hilft, Menschen um sich herum zu haben, die sich mit über Fortschritte freuen, uns aber auch halten und aufbauen, wenn es gerade frustrierend ist.
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Können Meditation und Achtsamkeit den Genesungsprozess selbst positiv beeinflussen?
Es gibt Hinweise darauf, dass Achtsamkeit und Meditation einen positiven Einfluss auf die Verläufe verschiedener Krankheiten nehmen können. So zeigen sich günstigere Werte bei bestimmten Entzündungsmarkern und Immunparametern. Hilfreich könnte sein, dass Meditierende besser mit ihrem Körper im Kontakt sind und so seine Signale klarer wahrnehmen. Außerdem hilft Achtsamkeit nachweislich dabei, Stress zu verringern, was die Genesung befördert. Wenn wir wohlwollend mit uns umgehen oder langsam und beruhigend atmen, aktivieren wir das parasympathische Nervensystem, das eine wichtige Rolle bei der Regeneration spielt.
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Manche Diagnosen sind schwer zu verkraften. Wie schaffe ich es, mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen?
Für viele Menschen, bei denen eine schwere Krankheit diagnostiziert wird, ist es gut, dass Leben zu verlangsamen, sich etwa von der Arbeit freistellen zu lassen, um sich um sich selbst zu kümmern. Studien, etwa bei Menschen mit Brustkrebs oder HIV, zeigen, dass sie psychisch am besten mit der Diagnose klarkommen, wenn sie aktiv und konstruktiv mit ihr umgehen. Dazu kann gehören: sich gut über die Krankheit zu informieren sowie über Möglichkeiten, sie zu behandeln. Unterstützung von Freunden und Verwandten zu organisieren. Sich mit anderen Erkrankten zu verbinden, zum Beispiel über Webseiten. Wir sollten dabei allerdings auch nicht zu viel von uns verlangen. Es ist auch okay, manchmal einfach nur verzweifelt und niedergeschlagen zu sein.
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Wie kann ich als Freund:in, Partner:in oder Angehörige:r eine kranke Person unterstützen?
Das Wichtigste ist, der Person zu signalisieren, dass wir für sie da sind. Manchmal geht es einfach darum, zuzuhören und Nähe zu spenden oder auch konkret im Alltag zu helfen. Die kranke Person weiß selbst am besten, was sie braucht. Wir sollten sie deshalb fragen, wie sie unterstützt werden möchte. Es ist oft belastend, einen nahestehenden Menschen leiden zu sehen. Um Kraft zu tanken, sollten wir Auszeiten einplanen – und zwar sowohl solche, in denen wir mit der kranken Person etwas Schönes unternehmen, um die Beziehung zu stärken, als auch solche, in denen wir etwas ganz für uns selbst tun.
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