Kategorie: Weiterlesen

Claudia Simon – Die Menschen

Was machst du gerade?

Claudia Simon

× 37 Jahre  ∇ Magdeburg  ♥ mit ihrem Freund und zwei Hunden
→ Upcycling-Künstlerin
>> meinhood.shop <<

Was machst du gerade?

Ich konzipiere eine Online-Ausstellung. Bei der Vernissage werde ich die Leute durch einen virtuellen Raum mit meinen Werken führen und ihnen etwas zu den Bildern erzählen. Ich hoffe, dass sich viele Leute zuschalten. Ich glaube, junge Menschen haben manchmal Hemmungen, in eine Galerie hineinzugehen, und auf diesem digitalen Wege können sie sich in Ruhe umschauen.

Du kreierst Stickbilder und Graffiti auf altem Holz. Wie kamst du dazu?

Eigentlich habe ich Kunstpädagogik studiert und als Lehrerin gearbeitet. Vor sechs Jahren habe ich mir aber bei einer Fernreise mehrere Infektionen zugezogen und bin, als Folge, am Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) erkrankt. Seitdem gibt es Tage, an denen es mir schwerfällt, überhaupt aufzustehen, mehrere Jahre kämpfte ich zudem mit Depressionen. Irgendwann nahm ich ein altes Tischtuch meiner Großmutter und bestickte es mit dem Gesicht einer lächelnden Frau. Seitdem habe ich im Sticken etwas gefunden, das mich kreativ erfüllt, ohne mich zu sehr anzustrengen.

 „Durch die kreative Arbeit bin ich endlich zur Ruhe gekommen.“ 

Wie hat sich dein Leben durch die Krankheit verändert?

Ich bekomme eine Rente und führe im Vergleich zu Freunden das Leben einer Schnecke. An guten Tagen ist mein Akku vielleicht zur Hälfte aufgeladen und ich schaffe einen langen Spaziergang und etwas zu werkeln. Manchmal reicht die Kraft gerade, mit den Hunden vor die Tür zu gehen. Ich sehe das aber nicht länger als Schwäche, sondern akzeptiere, dass meine Oma manchmal agiler ist als ich.

Was hast du noch gelernt?

Dass es irgendwie immer weitergeht – und wir manchmal nur unser eigenes Tempo oder Thema im Leben finden müssen, statt uns vor allem der Gesellschaft anpassen zu wollen. Und dass Kunst uns viel Mut geben kann. Ich verwende zum Beispiel oft Motive von Frida Kahlo, weil mich ihre Lebensgeschichte bestärkt hat. Das würde ich auch gerne anderen Menschen weitergeben. Vielleicht auch bald in kleinen Workshops.

Text: Vivian Alterauge, Sarah Klüß, Jana Luck Fotos: Privat 

 
 
 
 

Aus dem Bauch heraus – Die Zeit

Wellbeing

Aus dem Bauch heraus

Der Darm ist verantwortlich für die Verdauung. Aber er beeinflusst auch, wie wir uns fühlen, ob wir ängstlich oder mutig sind, fröhlich oder traurig. Und auch andersherum geht es unserem Bauch dann am besten, wenn es uns gut geht

Jetzt mal ehrlich, der eigene Verdauungstrakt war bisher nicht unbedingt ein Thema, über das man sich beim ­Kaffeetrinken mit einer Freundin unterhält. Irgendwie unappetitlich das Ganze. Doch wenn man sich Supermarktregale, Werbeplakate und Bestsellerlisten anschaut, scheint es da einen Wandel zu geben. 

Illustrationen: Eli Martínez @elimartinez.studio

Überall finden sich neue Produkte und Bücher, die uns helfen wollen, unsere Darmgesundheit wieder in Schwung zu bringen und unser Wohlbefinden zu steigern. Auch im eigenen Umfeld scheint die Zurückhaltung diesem Thema gegenüber immer mehr zu schwinden. Eine Freundin war erst kürzlich bei einer Darmreinigung und eine Kollegin erzählt, dass ihre Psychotherapeutin ihr empfohlen habe, ihre Verdauung näher zu betrachten, um ihre mentale Gesundheit zu stärken. Ist der Darm wirklich Spiegel unserer Psyche und umgekehrt? Nun gilt es mittlerweile durchaus als erwiesen, dass ein gesunder Verdauungsapparat und ein gesunder Körper unmittelbar zusammenhängen. Aber lässt sich das auch auf einen gesunden Geist übertragen?

Im steten Austausch

„Unser Verdauungstrakt funktioniert ähnlich wie das Gehirn“, sagt der Neurogastroenterologe Thomas Frieling, der mit dem Psychologen Paul Enck und dem Humanbiologen Michael Schemann das Buch Darm an Hirn! geschrieben hat. Das Bauchhirn verfügt demnach nicht nur über dieselben Strukturen, es benutzt sogar dieselben Botenstoffe wie zum Beispiel das Glückshormon Serotonin. Manchmal aber sind die Botschaften, die Hirn und Darm miteinander austauschen, fehlerhaft und führen zu Schmerzen oder auch Missempfinden. „Verstünde man all das besser, könnten wir Störungen wie das Reizdarmsyndrom schon heute korrigieren“, so Thomas Frieling. Doch selbst das, was wir schon jetzt wissen, sei erstaunlich: „Unser Bauch denkt auf seine Weise, er erinnert sich. Und er kommuniziert mit dem Rest des Körpers.“

„Es kann wirkungsvoller sein, sich in Achtsamkeit zu üben,
als Probiotika zu sich zu nehmen.“

Um diesem Informationsaustausch noch genauer auf den Grund zu gehen, verglich ein internationales Forschungsteam die Darmflora von Patienten mit diagnostizierter ­Depression mit der von gesunden Menschen. Dabei zeigte sich, dass bei den mental gesunden Menschen bestimmte Keime deutlich häufiger vertreten waren als bei der an ­Depression leidenden Vergleichsgruppe. Die Zahlen näherten sich erst dann wieder an, nachdem die Depressiven mit Antidepressiva behandelt worden waren. Die rund 100 Billionen Bakterien unserer Darmflora haben also tatsächlich etwas mit unserem Gemütszustand zu tun. Dieses Ergebnis kommt einer kleinen Sensation gleich. Zwar wird schon seit Längerem eine Beziehung zwischen einer ­gestörten Darmflora und Krankheiten wie Depressionen oder sogar Autismus vermutet, doch so genau wie in dieser Studie konnten die Zusammenhänge bislang noch nicht nachgewiesen werden. Nur eins verrät das Ergebnis noch nicht: Ob sich zuerst die Darmflora verändert und dies die Erkrankung auslöst oder ob die Erkrankung dazu führt, dass die Darmflora gestört ist.

 

Altes Heilmittel

Dass Darmbeschwerden mit der Stimmung zusammenhängen können, hat auch Jennifer Färber entdeckt. ­Nachdem ein Arzt bei ihr während des Studiums eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert hatte, beschäftigte sie sich intensiv mit ihrem Körper. Vor allem mit ihrem Darm. „Ich habe ­lange überlegt, was ich tun kann, damit es mir wirklich besser geht“, sagt sie. Darauf zu achten, welche Lebensmittel sie isst und wann, half ihr sehr, so Jennifer. „Nach meiner Ernährungsumstellung habe ich mich viel klarer ­gefühlt, fokussierter. Irgendwie wie angeschaltet und ins­gesamt glücklicher.“ Dabei entdeckte Jennifer ein ganz ­eigenes Mittel, das ihrer Gesundheit bis heute guttut: Kombucha. Ein Getränk aus fermentiertem Tee. Kombucha war schon immer Teil ihrer Familientradition: Ihre Großmutter braute ihn selbst. „Das Getränk kommt aus Asien und wurde auch im angrenzenden Russland bekannt“, sagt ­Jennifer. Und dort wuchs ihre Großmutter auf. „Für mich war es aber lange nichts weiter als eine leckere Erfrischung.“ Erst als Jennifers Darmbeschwerden zunahmen und sie ihre Ernährung genauer unter die Lupe nahm, merkte sie, wie gut Kombucha ihrem allgemeinen Wohlbefinden tat. Seitdem schwört sie darauf: „Er ist einfach gut für mein Bauchgefühl.“ Um diese Erkenntnis auch mit ­anderen zu teilen, gründete sie vor drei Jahren ihr eigenes Start-up in Hamburg: Rho Kombucha. Ihr Getränk kann man jetzt in ganz Deutschland kaufen.

Wagemutige Mäuse

Das Gesunde an speziell eingelegten Lebensmitteln wie Kombucha sind die Milchsäurebakterien. Diese halten nicht nur den Darm fit, sie unterstützen auch die Verdauung und stärken den ganzen Verdauungstrakt. Einige ­Wissenschaftler sind sogar davon überzeugt, dass solche Probiotika Einfluss auf unsere Gefühlswelt nehmen können. 2013 veröffentlichte der Gastroenterologe und Neu­rowissenschaftler Emeran Mayer an der University of ­California in Los Angeles eine Studie, die zumindest nahelegt, dass an dieser These etwas dran sein könnte: Der Wissenschaftler ließ Frauen vier Wochen lang regelmäßig probiotischen Joghurt essen. Dabei zeigte sich, dass bei ihnen bestimmte Hirnregionen schwächer auf negative Reize reagierten als bei Versuchspersonen, die nur normalen Joghurt gegessen oder sich wie bisher ernährt hatten.

In einem anderen Experiment verabreichten Forscher einer ängstlichen Rasse von Mäusen Antibiotika, die ihre Darmflora durcheinanderbrachten. Daraufhin verhielten sich die Tiere plötzlich wagemutig und unternehmungslustig. Mehr noch: Bekamen die Mäuse vor Stresssituationen wiede­-rum ­bestimmte darmfreundliche Probiotika gefüttert, schütteten sie beim Versuch, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, weniger Stresshormone aus als ohne die hilfreichen Mikroorganismen. „Es gibt einige Probiotika, die ­tatsächlich eine Wirkung erzielen, manche sogar auf die Stimmung“, sagt Emeran Mayer heute über seine Forschung. „Das gilt allerdings nicht für die Darmprodukte, die wir aus dem Supermarkt kennen. Etwa 90 Prozent davon beruhen auf keiner wissenschaftlichen Grundlage.“ Mayer ist überzeugt, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird. „In 20 Jahren kann man vielleicht individuell ­zugeschnittene Darmbakterien verteilen, die Schwachpunkte im eigenen System reparieren.“ Aber so weit ist die Forschung noch nicht. Anwendungen wie Darmsanierungen lehnt er deshalb als unwirksam ab.

Bakterien pflegen

Nun lassen sich Experimente an Mäusen natürlich nicht ­direkt auf uns Menschen übertragen. Dennoch kann man aus den bisherigen Erkenntnissen eine zentrale Aussage herausfiltern: Was unserer Darmgesundheit und auch unserer Psyche nachgewiesenermaßen hilft, sind die Dinge, die wir selbst am besten beeinflussen können. Das sagt auch Emeran Mayer: „Letztlich brauchen wir in der Regel keine teuren Darmprodukte, wenn wir uns ausreichend ­bewegen, gesund und vielfältig ernähren und Stressfaktoren reduzieren.“ Am gesündesten sei der Darm, wenn ihn viele verschiedene Mikrobenarten besiedeln. Je nachdem, was wir essen, pflegen wir bestimmte Bakterien. Und jede verdaut gerne etwas anderes. „Wer viele verschiedene Bakterien möchte, der sollte viele verschiedene Sorten Obst und Gemüse essen. Also ballaststoffreiche Nahrungsmittel – denn nur die schaffen es überhaupt in den Dickdarm“, so Mayer. Denn dort sitzen die meisten Mikroben. Mayer empfiehlt mediterrane Kost. Und weniger Stress: „Es kann deutlich wirkungsvoller sein, Achtsamkeitstechniken zu lernen, als Probiotika zu schlucken. Denn ist der Körper permanent im Stressmodus, helfen auch die beste Ernährung, die teuersten Pillen oder Sport nichts mehr.“

„Wir selbst können am besten spüren, was gut für uns ist.“

Das hat Nadine Hüttenrauch am eigenen Körper erfahren. Noch vor wenigen Jahren arbeitete sie als Unternehmensberaterin, war ständig unterwegs. An einigen Abenden ­waren Erdnüsse aus der Hotelbar ihr Abendessen. „Ich war ständig gestresst“, sagt Nadine heute. Immer deutlicher merkte sie damals, wie schlecht es ihr ging. „Ich musste aufstoßen, hatte Bauchkrämpfe, fühlte mich schlapp.“ ­Nadine beschloss: So geht es nicht weiter. Sie stellte ihre Ernährung um, erst auf vegetarisch, dann ließ sie auch die meisten Milchprodukte weg, verzichtete auf Gluten und ­reduzierte Kohlenhydrate. „Mir ging es viel besser. Nicht nur meinem Bauch. Sondern auch meiner Seele.“ Doch ­irgendwann kippte das Gefühl. „Ich hatte mir so viele ­Regeln ums Essen aufgebaut, dass es kaum noch Lebensmittel gab, die mir gefühlt kein Unwohlsein bescherten“, erzählt Nadine. „Ich verlor völlig die Freude am Essen.“

„Wir wissen mittlerweile, dass das Bauchhirn genau wie unser Kopf die Voraussetzungen für Lernprozesse hat und sich konditionieren lässt“, sagt Neurogastroenterologe Thomas Frieling. Natürlich gebe es Allergien und Unverträglichkeiten. „Es kann aber auch sein, dass man ­bestimmte Lebensmittel mit unangenehmen Situationen verbindet und der Körper deshalb reagiert. Die Unverträglichkeit ist dann nicht durch das Nahrungsmittel selbst, ­sondern durch die Konditionierung bedingt. Unverträglichkeiten können also gelernt werden.“ Was hilft? „Man muss solche Erinnerungen tatsächlich bewusst überschreiben, unter anderem durch die Kopplung mit angenehmen Situationen“, sagt Thomas Frieling.

Achtsam essen

Nadine Hüttenrauch beschloss, genau das zu tun und alle Regeln fallen zu lassen. Seitdem isst sie vor allem das, was sie glücklich macht: „Wir selbst können am besten spüren, was uns guttut.“ Heute arbeitet sie als Beraterin für achtsame Ernährung. Im Beruf lehrt sie das, was sie für sich selbst, durch eigene Erfahrung und eine Weiterbildung gelernt hat. Wer achtsam essen möchte, solle sich sechs Fragen stellen, sagt Nadine: Was esse ich, wie viel, wie, wann, warum, und woher kommen die Lebensmittel? Es geht also nicht nur darum zu überlegen, was man isst. Sondern sich auch zu fragen: Wie viel brauche ich wirklich? „Beim achtsamen Essen spüre ich das. Ich esse bewusst und höre auf, wenn ich genug habe“, sagt Nadine. Auch die Frage, warum wir gerade etwas essen möchten, sei wichtig. „Manchmal versuchen wir, andere Bedürfnisse mit Essen zu verdecken“, sagt sie. „Brauche ich gerade Schokolade oder eigentlich ein bisschen Zuneigung?“ Wer mit dem achtsamen Essen anfangen möchte, dem rät ­Nadine, es langsam anzugehen. „Anfangs reicht es schon, die ersten zwei, drei Bissen einer Mahlzeit bewusst zu ­genießen. Dann steigert man sich langsam.“

Psyche, Immunsystem und Krankheiten: Es ist nicht nur erstaunlich, was unser Darm alles mitregelt, sondern auch, wie wenig eigentlich über all diese Zusammen- hänge bekannt ist. Wenn man von bestimmten Darm- erkrankungen absieht, spielt unser Verdauungstrakt bislang weder in der durchschnittlichen Hausarztpraxis noch in Psychothera­pien eine Rolle, wenn es um die Diagnose von Krankheiten und deren Behandlung geht. Vielleicht können wir ihn ja wenigstens mit einer aus- gewogenen Ernährung und etwas Achtsamkeit bei seiner täglichen Arbeit unterstützen.

Text: Jana Luck, Yvonne Adamek, Illustrationen: Eli Martínez @elimartinez.studio

Unerwartetes meistern – von Boris Bornemann

Achtsamkeit für jeden Tag

Unerwartetes meistern

Das Leben bringt unerwartete Wendungen mit sich. Manche davon können uns mit Angst und Sorge erfüllen. Wie wir Unsicherheiten positiv begegnen, verrät Boris Bornemann.

1

Bei vielen lösen Veränderungen ungute Gefühle aus. Was passiert da innerlich und warum?

Im Laufe der Evolution haben wir Menschen gelernt, wie wichtig es ist, mit unserer Energie zu haushalten. Jede Veränderung kostet aber Kraft. Um gewohnte Bahnen zu verlassen, müssen wir neue Nervenverbindungen anlegen. Das machen wir nur, wenn es wirklich nötig ist. Psychologische Experimente zeigen außerdem: Von zwei völlig gleichwertigen Optionen ziehen Menschen meist die vertrautere vor.

Illustration: Ilenia Zito

2

Eigentlich wissen wir doch, dass das Leben nicht planbar ist. Wieso tun wir uns dennoch so schwer, uns auf Unerwartetes einzustellen?

Auf unsichere Situationen reagieren wir von Natur aus mit Unwohlsein. Wird das Essen bis zum Ende der Woche reichen? Ist dieser Platz ­sicher? Ist diese Person vertrauenswürdig? Im Gehirn wird in solchen Situationen das anteriore Cingulum aktiv. Das wiederum hängt eng mit unserem sympathischen Nervensystem zusammen, was unser Herz schneller schlagen lässt, wach macht und die Muskeln aktiviert. Das ist in vielen Situationen nützlich. Wir können die Aktivierung nutzen, um die Situation zu klären. Wenn die Unsicherheit allerdings rein aus unseren Vorstellungen und Fantasien entspringt, können wir durch ­äußeres Handeln nichts lösen. Wir müssen uns nach innen wenden.

3

Wie kann ich besser mit Gefühlen von Unsicherheit und Kontrollverlust umgehen?

Ein erster Schritt besteht darin, diese Gefühle zu normalisieren. Wir können uns fragen: Wie viele Menschen erfahren wohl gerade etwas sehr Ähnliches? Wir können dann die Gefühle im Körper erkunden. Wahrnehmen, wo Unruhe ist, wo wir angespannt sind und was wir sonst noch spüren können. Das ist eine grundlegende Form der Zuwendung zu uns selbst. Den Körper zu spüren hilft, destruktive Gedankenspiralen zu unterbrechen und uns auf eine hilfreiche ­Haltung zu besinnen. Wir können sie in einem Satz ausdrücken wie: „Möge ich freundlich und liebevoll mit mir sein.“ Oder: „Möge ich mit Leichtigkeit auf die Situation schauen.“ Wir üben also, das Gefühl der Unsicherheit zu akzeptieren, und wenn es da ist, freundlich mit uns selbst zu sein. 

4

Was brauche ich, um in Zeiten großer Veränderung (wie im Moment) Sicherheit und Vertrauen zu finden?

Gerade in unsicheren Zeiten können nahe Beziehungen einen sicheren Hafen bieten. Es ist also gut, diese Beziehungen zu stärken. Das Gefühl von Geborgenheit hilft dabei, mit den Turbulenzen des Lebens klarzukommen. Genau wie feste Routinen. Ein Morgenritual zum Beispiel mit Yoga, Meditation oder Journaling. Den Fokus auf die eigenen Stärken und Ressourcen zu lenken bietet ebenfalls Sicherheit. Dazu können wir uns verschiedene Fragen stellen: Wofür bin ich dankbar? Was mag ich an mir? Was kann ich gut? Nimm dir Zeit, um die Fragen auf dich wirken zu lassen, dir die Antworten innerlich vorzusprechen oder sie aufzuschreiben. Sich so das Gute im eigenen Leben bewusst zu machen, lässt einen mit mehr Ruhe und Vertrauen in die Zukunft schauen.

5

Manche Veränderungen werfen uns völlig aus der Bahn. Inwiefern helfen Meditation und Achtsamkeit dann weiter?

Zunächst geht es darum, mitfühlend mit uns selbst zu sein. Sich zu erinnern, dass diese Umbrüche zum Leben gehören. Dass der Grund dafür nicht immer bei uns liegt. Und dass es normal ist, sich niedergeschlagen oder aufgebracht zu fühlen. Wir können dann in der Meditation genauer untersuchen, was in uns vorgeht, und fragen: Welches Bedürfnis steht hinter meinen Gefühlen? Sehne ich mich nach Geborgenheit, nach Anerkennung, nach Anregung oder Ausdruck? Und was wären jetzt, genau hier und heute, Wege, um dieses Bedürfnis zu ­adressieren? Eine regelmäßige Meditationspraxis hilft sehr. Durch sie entwickeln wir eine grundlegende Gelassenheit; eine Bereitschaft, das Leben so anzunehmen, wie es ist, und ein Bewusstsein über un-sere Freiheit, es in jedem Moment neu zu gestalten.

6

In der Achtsamkeit wird der Fokus sehr auf das Hier und Jetzt gelegt. Was bringt das bei Angst vor Veränderungen?

Der vietnamesische Achtsamkeitslehrer Thich Nhat Hanh sagt: „Die beste Weise, sich um die Zukunft zu kümmern, besteht darin, sich sorgsam der Gegenwart zuzuwenden.“ Wenn wir uns auf den gegenwärtigen Moment fokussieren, sparen wir viel Energie. Wir verlieren uns nicht in Gedanken über mögliche Szenarien, die in der Zukunft eintreffen könnten. Arbeiten uns nicht an etwas ab, das wir ohnehin nicht ändern können. Die Angst ist vielleicht weiterhin da. Aber sie bekommt nicht mehr so viel Gewicht. Wir konzentrieren uns stattdessen auf den einzigen Moment, den wir wirklich gestalten können: Diesen hier. Genau jetzt. Wir fühlen uns klarer und ruhiger. Und zugleich lebendiger und freier.

7

Wie kann ich mich auf anstehende Veränderungen aktiv vorbereiten?

Den Fokus auf den Augenblick zu legen schließt nicht aus, dass ich mich auch mit der Zukunft auseinandersetze. Wir sollten uns dabei allerdings darüber im Klaren sein, dass das alles nur Fantasien sind, die wir uns jetzt gerade machen. Trotzdem können wir den Blick nach vorne positiv nutzen, indem wir uns bewusst in unsere liebste Variante der Zukunft hineinträumen. So empfinden wir Vorfreude statt Angst. Gleichzeitig lernt das Unterbewusstsein, diese positive ­Zukunft für möglich zu halten. Wir ­können uns aber auch in die unbeliebteren Varianten hineindenken und ­dabei bemerken: Selbst wenn etwas Negatives passiert, wäre ich weiterhin ein freier Mensch, der kreativ und mitfühlend mit der neuen Situation um­gehen kann. Manchmal hilft es auch, andere Menschen zu befragen, die bereits Ähnliches erlebt haben, um von ihren Erfahrungen zu lernen. Oder wir fragen uns einfach selbst: Was ist das größte Potenzial dieser Veränderung? Was kann ich lernen? Was kann ich loslassen?

8

Viele Veränderungen haben letztlich etwas Positives. Wie gelingt es mir, das zu sehen?

Wir können einmal darüber nachdenken, wie es wäre, wenn immer alles gleich bliebe. Dann merken wir schnell, dass ein gewisses Maß an Veränderung durchaus angenehm ist, selbst wenn sich das in dem jeweiligen Moment nicht immer so anfühlt. Vielleicht fühlen wir gerade Wachstumsschmerzen. Aber in der Regel ist es genau dieser Wandel, der uns am Ende dabei hilft, über uns hinauszuwachsen. Um das zu verstehen, hilft es, sich für einen Moment sich selbst zuzuwenden. Wir können uns zum Beispiel fragen: Welche Fähigkeiten erlerne ich gerade? Um welche schöne oder abenteuerliche Geschichte werde ich reicher? Wir können uns auch an der Gewissheit erfreuen, dass alles Unangenehme irgendwann vorbeigeht. Das Wichtigste aber ist die Fähigkeit, loszulassen und uns mit einem offenen Herzen, mit Leichtigkeit und Vertrauen in den Strom des Lebens fallen zu lassen.

Illustration: Ilenia Zito, Julia Baier (Porträt)